Anglophone Crisis

Heute schreibe ich aus Bafoussam, einer Stadt im frankophonen Bereich in Kamerun. Hier sind wir, meine WG-Mitbewohner, Luise aus Kumbo und ich über das Wochenende bei anderen Freiwilligen untergebracht worden. Alle rechneten damit, dass es am 1. Oktober zu Ausschreitungen im anglophonen Bereich kommen wird. Deshalb brachte man uns vorsorglich im frankophonen Teil unter. Am ersten Oktober 1961 feierte der damals von Großbritannien besetzte Teil Kameruns die Unabhängigkeit von ihren Kolonialherrschern. Ein Tag der in der anglophonen Krise eine große Bedeutung innehat. Und genau über diese Krise und meine Erfahrungen möchte ich berichten. Dazu werde ich jedoch erst einmal in der Geschichte Kameruns zurückgehen, um ein Verständnis zu schaffen, wie es dazu kam.
Man spricht in der kamerunischen Geschichte von 3 Phasen.

1. Vorkolonialismus
Damals war Kamerun kein Staat, sondern in Völker unterteilt. Dies änderte sich am 12. Juli 1884.

2.Kolonialisierung
1884 unterschrieben die Deutschen die Schutzherrschaft über Kamerun. Diese bestand bis 1914. Die Deutschen legten eine Grundlage für einen kamerunischen Staat. Während der Schutzherrschaft wurden in Kamerun Straßen, Schulen und Krankenhäuser gebaut. Man darf aber nicht vergessen, dass hier Völker ausgerottet, die Menschen versklavt und das Land mit seinen Ressourcen ausgebeutet wurde. Es werden die ersten Landesgrenzen gesetzt.  Dann begann der erste Weltkrieg und am 26. September 1914 nahmen die Engländer und Franzosen Kamerun ein. Nun hatte Kamerun zwei neue Herrschaftsländer, die jeweils verschieden in ihren Territorien herrschten. Am 4. März 1916 teilten sie Kamerun in zwei Hälften. Durch die französischen Verluste im 1. Weltkrieg in Europa bekam Frankreich den Löwenanteil zugesprochen. England legte seinen Teil Kameruns an Nigeria an und beide Seiten setzten ihre Kultur in ihren Teilen um. Dieses Mandat auf die Kolonialisierung behielten England und Frankreich bis 1945, ab diesem Zeitpunkt entschied man sich eine neue, politisch korrekte Bezeichnung zu benutzen: Tutoring. Am 1. Januar 1960 feierte der frankophone Teil Kameruns seine Unabhängigkeit. Der erste Präsident, Ahmadou Ahiojo wollte den anglophonen Teil wieder an Kamerun angliedern. Er begann Verhandlungen, die anglophonen Kameruner waren geteilter Meinung. Einige wollten wieder zu Kamerun gehören, andere bevorzugten eine Zugehörigkeit zu Nigeria. Die UNO entschied sich für eine Volksabstimmung in zwei Teilen des Landes, in Südkamerun und Nordkamerun. Da die erste Wahl für den Verbleib an Nigeria entschied, wurde am 11.02.1961 eine zweite Wahl durch den Einfluss der Franzosen in der UNO durchgeführt. Der südliche Teil Kameruns entschied sich in dieser Wahl zu Kamerun zurückzukehren und den anglophonen Teil zu bilden. Der nördliche Teil blieb Nigeria erhalten. Der 11.02 ist nun noch immer Feiertag für die Jugend. Da die Jugendlichen damals sich stark dafür eingesetzt haben wieder nach Kamerun zu gehören.

3. Nach der Kolonialisierung
Johunga Foncha, der damalige Führende im anglophonen Teil, traf sich mit dem Präsidenten Ahmadou Ahiojo. Der Präsident wollte Foncha klarmachen, dass zwei Systeme in einem Staat sehr teuer sind. Am 20. Mai 1972 wurde eine Volksabstimmung organisiert. In dieser Volksabstimmung wurde ermittelt, ob das Volk eine Republik gründen möchte. 90 % der Wahlbeteiligten stimmten zu. Am 6. November 1982 wird Paul Biya zum 2. Präsident von Kamerun. 1982 entschied sich Paul Biya für einen neuen Namen: Republique du Cameroon. Es begann, dass die anglophone Geschichte versteckt wurde.

Das sind jetzt nur ein paar geschichtliche Fakten um den Hintergrund zu verstehen von dem Teil der nun folgt.
Die anglophone Krise begann schon bei der Teilung durch Frankreich und England. Beide Teile entwickelte sich nach den Vorstellungen ihrer Herrscher. 1972, als beide Teile wieder vereint waren, wurde beschlossen den anglophonen Staat zugunsten des frankophonen aufzulösen. 
Dazu muss man wissen, dass Kamerun in 10 Regionen unterteilt ist. 8 frankophone und 2 anglophone Regionen. Die anglophonen Regionen sind North-West mit Hauptstadt Bamenda und South-West mit Hauptstadt Buea. Der anglophone Teil besteht aus einer Minderheit von 3 Millionen Menschen und der frankophone aus 17/18 Millionen. Der Großteil der Beamten, Richter, Lehrer und Ärzte sind frankophon. 
1990 wurde die Buea Univerity nach dem britischen Bildungssystem gegründet um britische Beamte auszubilden. Aber der Großteil der Studenten waren und sind französischsprachig. 
Oktober/ November 2016
Es begann mit dem Unmut über die Frankophonisierung des Justiz- und Bildungssystems, das heißt der Marginalisierung der englischen Sprache im anglophonen Bereichs. Die englische Sprache wird nach und nach von der französischen Sprache verdrängt. Rechtsanwalt Abgbo Bala und seine Brüder forderten, dass das Wirtschaftsrecht in die englische Sprache übersetzt wird und mehr anglophone Richter im anglophonen Teil arbeiten. Kurz darauf schlossen sich die Lehrkräfte den Richtern an. Dr. Fontem, ein Professor in Buea, setzte sich mit für den Streik ein. Die Forderung war, mehr anglophone Studenten und Lehrkräfte zuzulassen. Diese Forderungen wurden von der Regierung zunächst gut aufgenommen. Doch dann rief der Direktor von Buea die Polizei, um die Demonstrationen seiner streikenden Studenten zu beenden. Die Polizei kam und ging mit sehr viel Gewalt und Härte vor. Studenten wurden einfach in LKW’s geworfen und auch in Bamenda verhaftete man mehrere Anwälte. Die Regierung griff ein, als es im Internet öffentlich wurde und die Welt davon erfuhr. Es begannen Verhandlungen, die Forderungen wurden angehört und die Regierung stimmte dem zu. In der Zwischenzeit hatten sich Streikführer einer neuen Art an die Spitze gesetzt. Sie befahlen, dass Schüler und Lehrer nicht mehr zur Schule gehen sollten. Die Regierung wollte, dass sie damit aufhören, solange die Verhandlungen geführt werden. Jedoch wollten die Streikführenden nicht aufhören, es gab neue Forderungen. Sie wollten zu einem föderalistischen Staat und zum 1 Oktober 1961 zurück, als der anglophone Teil mehr Selbstverwaltung innehatte. Die Gründe dafür sind, dass der frankophone Teil den anglophonen einfach verschluckt hätte und die frankophonen korrupt seien. Tatsachen sind jedoch, dass seit 1961 nie ein anglophoner Kameruner einen wichtigen Posten in der Regierung übernahm. Die Streikenden wollten eine eigene Verwaltung. Die Regierung nahm die Streikführer in Haft, Demonstrationen wurden versucht mit Wasserwerfern und Tränengas gewaltsam einzudämmen. Die Regierung schickte Militär in die anglophonen Teile und diese gehören nun zum normalen Stadtbild.  Es gab Massenverhaftungen von Protestierenden und der Zivilbevölkerung. Damit begann der richtige Ärger. Ausgewanderte Kameruner übernahmen den Streik von außerhalb und es gab Gewalt gegen Streikbrecher. Schulen wurden angezündet und Kinder, die zur Schule wollten wurden auf der Straße angepöbelt. Das Phänomen „Ghosttown“ entstand. Die Stadt wird wie der Name sagt, zur Geisterstadt. Es ist ein stiller Protest gegen die Regierung und ihre Verfahrensweisen. Um die Nachrichten nach außen einzudämmen, schaltete die Regierung das Internet Anfang des Jahres 2017 für 3 Monate ab. Auswärtige Kameruner jedoch hielten den Streik aufrecht. Die Schulen wurden nicht weitergeführt. Die Richter im Gefängnis wurden noch nicht verurteilt. Die anglophonen Kameruner aus dem Ausland gründeten ihren eigenen Staat „Ambazonia“. Es wurde in kamerunische Botschaften in aller Welt eingebrochen und die Flagge Kameruns verbrannt und gegen eine ambazonische Flagge ausgetauscht. Es gibt sogar Ambazonia Passports. Dies ist ein Teil der anglophonen Krise. 


 Kamerunische Flagge

Ambazonia Flagge

Man muss jedoch berücksichtigen, dass es inzwischen nicht nur um das Justiz- oder Bildungssystem geht, denn viele junge Kameruner sind frustriert über die nicht vorhandenen Job- und Zukunftsperspektiven. Die flächendeckende Ausweitung des Protestes über die anglophonen Bereiche und die Sympathie der großen Mehrheit des frankophonen Teils Kamerun deutet auf den großen Frust gegenüber der Zentralregierung hin. Es geht nicht nur um die Marginalisierung des anglophonen Teils, vor allem geht es um die Perspektivlosigkeit, die schlechte Infrastruktur und die schlechte medizinische Versorgung in ganz Kamerun. Das Straßennetzwerk ist sehr schlecht, Straßenschäden sind überall zu finden. Dies Unterstützt auch die Statistik, dass auf 100.000 Resiende 27,6 Tote kommen. Wenn man von Bamenda nach Kumbo möchte, kann man mit 3 Stunden Fahrt bei 90 km rechnen. Zusätzlich finden sich hier überdurchschnittlich viele Straßenkontrollen. Und jedes Mal muss der Fahrer am Kontrollpunkt Geld abgeben. Hier zeigt sich die große Korruption. Auch im Schulsystem findet man diese nur zu häufig. Durch die schlechte Bezahlung von Lehrern, wird hier oft von Eltern bezahlt, damit Hausaufgaben richtig kontrolliert oder andere Leistungen tatsächlich vom Lehrer gemacht werden.
Seit 35 Jahren ist Paul Biya schon Präsident in Kamerun und es wird nicht damit gerechnet, dass sich dies in nächster Zeit ändert (Ende des Jahres sind Wahlen), da es eine unbegrenzte Wiederwahlmöglichkeit gibt. Im Moment sitzt eine Regierung an der Macht, die sich uneinsichtig zeigt und die Wut der Bevölkerung mit Gewalt und Verhaftungen eindämmen möchte. 

Nun komme ich zu dem, was ich bisher erlebt habe. Wobei ich betonen möchte, dass ich nur vom anglophonen Teil Kameruns berichten kann. Ich habe in Bamenda oft Militär und Polizei gesehen, das gehört für mich zum Stadtbild dazu. Jedoch gehen diese Menschen mit ihren Waffen um, als wäre es ein Accessoire. Gewehre werden in der Hand gehalten, wie eine Handtasche und wenn ein Sicherheitsbeamter vor einem kleinen Kind steht, sich mit ihm unterhält und währenddessen das Gewehr in der Hand hin und herschaukelt wird mir jedes Mal von Neuem schlecht. Die jungen Menschen in meinem Freundeskreis sind entweder Studenten oder junge Arbeitskräfte, die jedoch alle keine großen Zukunftsaussichten haben. Ein Student fährt inzwischen Biketaxi, damit er sich über die Runden bringt und der andere hofft jeden Tag auf neue Maleraufträge, die nicht hereinkommen, da keiner finanzielle Mittel hat, um sein Geschäft oder die Wohnung zu streichen. Es herrscht Frustration und Angst. Viele junge Männer fragen sich, wie sie je eine Familie gründen sollen, wenn ihnen dafür die finanziellen Mittel fehlen. Auf der anderen Seite gibt es immer mehr junge, schwangere Kamerunerinnen, die eigentlich mal Studierende waren, jetzt aber den ganzen Tag zu Hause sitzen. Und muss man sich denn wundern, dass es dazu kommt, wenn keine Beschäftigungen da sind?! Bei meinen Besuchen in Kumbo sind mir die Straßensperren aufgefallen, die im Vergleich zum frankophonen Bereich sehr viel sein sollen. Immer wieder muss man das Auto oder den Bus verlassen um seine ID-Card zu zeigen. Was mir jedoch nicht auffiel und erst von Kamerunern erzählt wurde, ist, dass der Fahrer in seine Fahrzeugpapiere immer einen 500 F Schein legt, um ihn so der Kontrolle zu geben. So garantiert man sich ein störfreies Durchfahren. 
Das Phänomen „Ghosttown“ ist für mich ein normaler Begleiter geworden. Ghosttown begann zur heißesten Phase in der anglophonen Krise. Es ist eine Art Rebellion der Geschäfte und Menschen in Bamenda und den restlichen Städten im anglophonen Bereich. Das heißt an Ghosttown bleiben die Geschäfte, Märkte und auch alles andere geschlossen und es fahren so gut wie keine Bikes oder Taxis. Die Stadt sieht dann fast aus wie eine Geisterstadt. Zu Beginn war es noch schlimmer, davon habe ich aber nichts mitbekommen, da ich ja noch in Deutschland war. Im Moment ist „Ghosttown“ an drei Tagen die Woche, von Montag bis Mittwoch. Das heißt an diesen Tagen sind die Geschäfte geschlossen und es fahren kaum Taxis oder Bikes. Jedoch ist eigentlich nur am Montag richtig Geisterstadt. Den Rest der Tage nimmt es die Bevölkerung nicht ganz so ernst und man kann am Straßenrand bei verschiedenen Ständen Gemüse und Obst einkaufen.

Am Freitag, 23.09.17, waren große Demonstrationen im anglophonen Teil. Da wir in dieser Zeit in Kumbo waren, eine Freundin besuchen, kann ich davon nur vom Hören berichten. Hier ist die Demonstration friedlich mit Tausenden von Menschen auf der Straße abgelaufen. Die Situation war zwar „hot“ wie die Kameruner es betiteln, aber es ist nichts Schlimmes passiert. Außer man zählt einen Toten dazu, bei dem es sich aber um einen jungen Mann handelt, der außerhalb dieser ganzen Situation gehandelt hat. In Kumbo standen wir an diesem Tag unter „Hausarrest“, das heißt wir mussten den Tag im Haus verbringen, da die Situation zu gefährlich war. Dort hörten wir auch mehrere Schüsse den Tag über verteilt, die Trillerpfeifen der jungen Menschen und sahen Tränengas gen Himmel steigen. Es wurden auch mindestens zwei Menschen angeschossen. Das Problem in Kamerun ist, dass sich die Polizei und das Militär für keinen Schuss oder eine Gewalttat rechtfertigen muss. Hier wird einfach geschossen. Das ist eine grausame Tatsache, die ich aber nicht verschweigen will, da sie mit erklärt, was hier eigentlich von statten geht. Denn die Kameruner sind nicht still und wollen etwas an ihrer Situation ändern, müssen aber immer um ihr Leben bangen, wenn sie für ihre Rechte einstehen. Nach dieser großen Demonstration ist es nun so, dass die Regierung für alle eine Ausgangssperre ab 10 Uhr abends verordnet hat, sozusagen als Bestrafung für den Marsch. Zu dem Marsch werde ich noch einmal einen gesonderten Bericht von Godlove online stellen und übersetzen.

Tränengas in der Nähe vom Palace in Kumbo

Mein Aufenthalt in Bafoussam ist nun auf unbestimmte Zeit verlängert worden, da es am 01. Oktober 17 im anglophonen Teil zu großen Ausschreitungen und Gewalt kam. Es wurden mehrere Menschen verletzt und es gab einige Tote. Ich weiß nicht genau, wann ich wieder nach Bamenda zurückkehren darf. Ich hoffe jedoch bald, da Bamenda mein zu Hause geworden ist und ich meine Freunde und meine neue Familie sehr vermisse. Ich möchte allerdings nicht, dass ihr euch Sorgen um mich macht. Brot für die Welt und meine Mentoren sorgen für unsere Sicherheit und werden uns erst wenn es wieder sicher ist zurücklassen.

Ich melde mich bald wieder mit neuen Informationen.

See you later, alligator!

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Leipzig

Über den Wolken - Unter den Palmen

Hier bin ich!